Muss das Rechenzentrum wirklich abgeschaltet werden?
Da in Rechenzentren üblicherweise keine FI-Schutzschalter zum Einsatz kommen, darf und muss das Rechenzentrum als elektrotechnische Anlage mit beschränktem Zugang für befugtes Personal betrachtet werden. Eine solche Anlage unterliegt den Vorgaben der DIN VDE 0105-100 „Betrieb von elektrischen Anlagen“. Um den sicheren Betrieb, aber vor allem den Personenschutz zu garantieren, müssen elektrische Anlagen in regelmäßigen Abständen geprüft werden. Einige Prüfszenarien können dabei jedoch nur im spannungsfreien Zustand erfolgen - dafür muss theoretisch abgeschaltet werden. Aber muss das wirklich sein?
Die Verfügbarkeit von Rechenzentren wird zu 100% vorausgesetzt und kann mittels diverser Redundanzkonzepte (z.B. Tier I-IV) dargestellt und umgesetzt werden. Der sichere Betrieb wird zusätzlich durch regelmäßige Wartung aller Anlagenteile gewährleistet, d.h. Einzelkomponenten wie die USV- oder Klima-Anlagen werden regelmäßig durch internes oder externes Fachpersonal überprüft. Aber wie sieht es mit der Niederspannungs-Hauptverteilung (NSHV), den Unterverteilungen (UV) und den Leitungen dazwischen aus?
Rückblickend haben die Sachversicherer ermittelt, dass 30% aller Brände in Gebäuden als Ursache fehlerhafte elektrische Anlagen hatten. Dies führte dazu, dass Verträge zur Gebäudeversicherung i.d.R. die Feuerschutzklausel SK 3602 beinhalten – allerdings kennt kaum jemand deren Inhalt.
„(…) Der Versicherungsnehmer hat die elektrischen Anlagen jährlich auf seine Kosten durch einen von der Zertifizierungsstelle der VdS Schadenverhütung GmbH anerkannten Sachverständigen prüfen und sich ein Zeugnis (Befundschein VdS 2229) darüber ausstellen zu lassen. (…)“
Im Versicherungsvertrag wird somit sogar von einer jährlichen Prüfung gesprochen und es stellt sich die Frage, was eigentlich geprüft und wieso abgeschaltet werden muss?
Nach dem Errichten der Anlage und spätestens ab dem Tag der Übergabe ist das Facility Management oder die verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) und nicht zuletzt auch der Unternehmer für den ordnungsgemäßen Zustand der Anlage und die Sicherheit seiner Mitarbeiter verantwortlich. In der Unfallverhütungsvorschrift für elektrische Anlagen und Betriebsmittel (DGUV Vorschrift 3) steht u.a., dass für ortsfeste elektrische Anlagen und Betriebsmittel die Forderungen hinsichtlich Prüffrist und Prüfer erfüllt, wenn Prüffristen von 4 Jahren eingehalten werden.
Das bedeutet, dass nach jeweils 4 Jahren Betrieb eine ortsfeste elektrotechnische Anlage zum Zweck der Wiederholungsprüfung abgeschaltet werden muss. Grund hierfür ist die Isolationsprüfung als Bestandteil der wiederkehrenden Prüfung. Eine Isolationsprüfung erfolgt mittels einer durch das Messgerät generierten Prüfspannung in Höhe von 500V (250V) und setzt somit die Spannungsfreiheit der Anlage voraus.
Die Prüfprotokolle sind zu dokumentieren auf Verlangen der Versicherung vorzulegen. Die in den Protokollen ggfs. beschriebene Mängel sind umgehend zu beseitigen. Nur so kann der Versicherungsschutz aufrechterhalten werden.
Eine Unterbrechung der Stromversorgung im Rechenzentrum, egal ob für den Funktionstest eines FI-Schutzschalters (RCD) oder die wiederkehrende Prüfung nach DGUV Vorschrift 3, ist auf Grund der notwendigen maximalen Verfügbarkeit 24/7 nicht akzeptabel. Dieser vermeintliche Konflikt scheint unumgänglich – und dennoch bietet sich eine normkonforme Möglichkeit, allen normativen Vorgaben und Anforderungen nach Verfügbarkeit gerecht zu werden.
Sowohl für den Einsatz von FI-Schutzschaltern (RCD) als auch für die Isolationsprüfung (spannungsfrei) bei der wiederkehrenden elektrischen Prüfung nach DGUV Vorschrift 3 gibt es eine Ausnahmeregelung. Auf den Einsatz von FI-Schutzschaltern kann verzichtet werden, wenn Steckdosen durch Elektrofachkräfte oder elektrotechnisch unterwiesene Personen ständig überwacht werden. Als ständig überwacht gelten elektrische Anlagen und Betriebsmittel, wenn sie von Elektrofachkräften (EFK) in Stand gehalten werden und durch messtechnische Maßnahmen sichergestellt ist, dass Schäden rechtzeitig entdeckt und behoben werden können. Eine derartige messtechnische Maßnahme stellt die Differenzstromüberwachung mittels RCM-Sensoren Typ B (allstrom-sensitiv AC+DC) nach DIN EN 62020 dar.
Das bedeutet, dass Messprotokolle der Differenzstrommessung im Zuge einer Wiederholungsprüfung als Nachweis des Isolationsniveaus vorgelegt werden. Weitere notwendige Teilprüfungen können unter Spannung, d.h. ohne Abschaltung des Rechenzentrums, durchgeführt werden.
Autor: Tilo Püschel, © Bachmann GmbH 2018
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